Leipzig auf dem Weg zur Revolution

Leipzig auf dem Weg zur Revolution

In Leipzig entwickeln sich ab 1988 die Friedensgebete in der Nikolaikirche zu politischen Veranstaltungen. Die politisch-alternativen Gruppen treten zunehmend aus dem Schutzraum Kirche heraus und gewinnen immer mehr Sympathisanten. Darauf reagiert der Staat gewaltsam und die Sicherheitskräfte verhaften massenhaft die Demonstranten. Während der Leipziger Herbstmesse im September 1989 dokumentieren zahlreiche Vertreter der Westpresse das offen gewaltsame Vorgehen der Staatssicherheit. Die SED-Presse benennt die wahren Problematiken, die hinter den Protesten von Opposition und Ausreiswilligen stehen nicht. Stattdessen berichtet sie abschätzig über die Demonstrationen. Dennoch lassen sich die Menschen von einem Besuch der Friedensgebete nicht abbringen. Am 2. Oktober 1989 demonstrieren bereits 25.000 Menschen.

Gewaltsamer Einsatz der Sicherheitsorgane gegen Demonstranten am 7. Oktober 1989 in Leipzig.
Quelle: Martin Jehnichen/ABL

Am 7. Oktober ist der 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Die SED und ihre Sicherheitsorgane unterstreichen an diesem Tag noch einmal, dass sie mit aller Macht für Ruhe und Ordnung sorgen. Wie die Jahre zuvor sollte dieser Tag fröhlich, mit Volksfeststimmung begangen werden. Während sich die SED-Führung in Berlin feiern lässt, demonstrieren in Leipzig im Laufe des Tages immer wieder verschiedene Gruppen. Die Polizei zeigt unmissverständlich Präsenz: Sie knüppelt die Demonstranten nieder, und erstmals kommen auch Wasserwerfer und Polizeihunde zum Einsatz.

Zwei Tage später, am 9. Oktober, soll das nächste Friedensgebet stattfinden. Unter dem Eindruck der staatlichen Gewalt in den Wochen zuvor herrscht große Spannung in der Stadt. Niemand kann wissen, was nach dem Friedensgebet passieren wird. In der Bevölkerung kursieren zahlreiche Gerüchte, etwa über den Einsatz des Militärs. Das Szenario, das sich viele ausmalen, ist die gewaltsame Niederschlagung der Proteste. Die Leipziger Volkszeitung gießt noch kräftig Öl ins Feuer, indem sie einen Kampfgruppenkommandeur zu Wort kommen lässt. Dieser droht, die „konterrevolutionären Aktionen“ mit der Waffe zu bekämpfen.

Säule der Demokratie
Quelle: Martin Jehnichen/ABL

Trotz des Mangels an medialen Verbreitungsmöglichkeiten versuchen verschiedene Akteure der Stadt mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, das drohende Szenario zu verhindern. Sie rufen zur Gewaltlosigkeit und Besonnenheit auf. Zigtausende Flugblätter werden von politisch-alternativen Gruppen in Umlauf gebracht. Trotz des massiven Aufgebots der Sicherheitsorgane verläuft die Demonstration friedlich.

Die über Jahre aufgebauten Kontakte zu den Westmedien haben an diesem Tag eine wichtige Bedeutung. Am 9.Oktober entstehen Fotos, Filmaufnahmen und Stimmungsberichte, die in den Westmedien gesendet werden. Das ist nicht nur einen herber Schlag für die SED-Medienkontrolleure. Vielmehr besitzen diese Bilder eine enorme Symbol- und Mobilisierungskraft, auch für viele andere Menschen in der DDR. Auf den Herbstdemonstrationen in Leipzig und in anderen Städten wird neben Forderungen nach demokratischen Rechten wie Meinungs- oder Reisefreiheit nicht zuletzt die Forderung nach Pressefreiheit artikuliert.

Am 9. Oktober 1989 fahren Aram Radomski und Siegbert Schaefke von Ostberlin nach Leipzig. Während der Fahrt überholen sie zahlreiche militärische Fahrzeuge, die ebenso auf dem Weg nach Süden sind. In Leipzig angekommen, bemerken sie zudem das massive Aufkommen von Polizei, Kampfgruppen und Staatssicherheit. Sie suchen einen geeigneten Standort, um illegale Film- und Fotoaufnahmen von der Leipziger Demonstration zu machen. Beide sind jedoch keine sensationssüchtigen Demonstrationstouristen. Sie filmten und fotografierten bereits ab 1987 die systemkritischen Vorgänge im Land und liefern gezielt Informationen und Bilder an die westdeutschen Medien. Eine geeignete Videokamera erhält Siegbert Schefke zuvor von dem Kontraste-Redakteur Roland Jahn, zu dem er intensiven Kontakt pflegt, erhalten.
Schließlich gelingt es ihnen vom Kirchturm der Reformierten Kirche spektakuläre Filmaufnahmen vom 9. Oktober zu machen. Über einen Kurier werden diese Aufnahmen nach Westberlin gebracht und schließlich in den „tagesthemen“ gezeigt. Zum Schutz der beiden behauptet der Kommentator Friedrichs, die Aufnahmen kämen von einem italienischen Fernsehteam. Diese Aufnahmen aus Leipzig - gezeigt im Westfernsehen - haben eine enorme Symbol- und Mobilisierungskraft, auch für den Rest des Landes.

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